Was ist eigentlich sexueller Missbrauch?

Was ist eigentlich sexueller Missbrauch?

Sinnvolle Unterscheidung (nach Dirk Bange, Erziehungswissenschaftler):

  • Sexuelle Grenzverletzungen sind unbeabsichtigte Verletzungen der Schamgrenzen, z B. ein unbeabsichtigtes Streifen der Brüste beim Aussteigen aus dem Bus. (Ist uns allen schon passiert.)
  • Sexuelle Übergriffe sind absichtlich durchgeführte Grenzverletzungen, z B. unangebrachte Hilfestellung beim Umziehen, sexistische Sprüche oder Witze.
  • Sexueller Missbrauch im strafrechtlichem Sinne ist jede sexuelle Handlung, die an oder vor Kindern (unter 14 Jahren) vorgenommen wird oder die Kinder an sich selbst vornehmen solle (z B. Berührungen im Intimbereich, Exhibitionismus, Masturbieren vor dem Kind, das Kind zum Masturbieren zwingen, Zeigen bzw. Herstellen pornografischer Inhalte)

    Entscheidend dabei ist die Machtausübung: die Sexualität ist Mittel zum Zweck. Es  
   
geht Tätern nicht in erster Linie um sexuelle Bedürfnisse, sondern um das Bedürfnis,
    Macht zu erleben (= eine sexuelle 
Form der Gewalt)

 

Basiswissen sexueller Missbrauch:

  • Der Großteil der Täterschaft kommt aus dem nahen sozialen Umfeld: Familie, Freizeit, Sport, Kirche etc.
  • Ca. 20 % sind weibliche Täterinnen
  • Viele wurden bereits im Kindes- oder Jugendalter sexuell übergriffig (-> siehe „sexuelle Übergriffe unter Kindern/Jugendlichen“)
  • Täter*innen manipulieren die Opfer und das gesamte soziale Umfeld. Anfänglich leichte Grenzüberschreitungen, eine mehr und mehr sexualisierte Atmosphäre, das Darstellen der Handlungen als Normalität oder als „Sexualerziehung“ bzw. Hygienemaßnahmen, die Schuldumkehr („Wenn du etwas erzählst, bist du schuld, dass du ins Heim musst / ich ins Gefängnis muss ...“), Geheimhaltungsdruck und Drohungen machen es den Kindern oftmals unmöglich, sich anzuvertrauen.

 

Bei einem Verdacht auf sexuellen Missbrauch:

Protokollieren Sie:

  • Verhaltensauffälligkeiten und Verhaltensveränderungen
  • Selbst- oder fremdverletzendes Verhalten
  • Trauma-Anzeichen (Dissoziation, Ängste etc.)
  • Psychosomatische Beschwerden (Bauch-/Kopfweh …)
  • Entwicklungsrückschritte
  • Sexualisiertes Verhalten
  • Andeutungen

Tauschen Sie sich im Team darüber aus – vielleicht hat ihr*e Kolleg*in ebenfalls Auffälligkeiten wahrgenommen.

Holen Sie sich externe Hilfe – auch bei einem vagen Verdacht oder als Vorbereitung für ein Gespräch.

  • Schulpsychologie
  • Kinderschutzzentrum

Konfrontieren Sie nicht vorschnell die Familie - falls es sich um innerfamiliären Missbrauch handelt, wird es für das Kind dadurch noch schwieriger!

Seien Sie sich darüber bewusst, dass die Thematik Sie überfordern kann. Vielleicht kennen und schätzen Sie die Person unter Verdacht (Eltern, Kolleg*in, Menschen im Ehrenamt etc). Auch deshalb sollten Sie externe Hilfe in Anspruch nehmen.

 

Mitteilung an die Kinder- und Jugendhilfe

Einrichtungen zur Betreuung oder zum Unterricht von Kindern und Jugendlichen sind mitteilungspflichtig nach §37 des Bundes-Kinder- und Jugendhilfegesetzes!

Formular und weiterführende Informationen: https://www.gewaltinfo.at/recht/mitteilungspflicht/

 

Wann besteht eine Mitteilungspflicht?

Diese besteht, wenn

  • ein begründeter Verdacht vorliegt, dass ein konkretes Kind misshandelt, sexuell missbraucht, vernachlässigt wird oder wurde oder sonst erheblich gefährdet ist,
  • die Gefährdung nicht durch eigenes fachliches Tätigwerden abgewendet werden kann und
  • die Wahrnehmung der Gefährdung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit erfolgt.

Der Verdacht muss sich auf eine aktuell vorliegende Gefährdung beziehen bzw. müssen in der Vergangenheit liegende Ereignisse eine gefährdende Auswirkung auf die Gegenwart haben.

Ein begründeter Verdacht liegt vor, wenn konkrete - über Vermutungen hinausgehende - Anhaltspunkte für die Gefährdung vorliegen und sich die Anhaltspunkte auf ein konkretes, namentlich bekanntes Kind beziehen. Anhaltspunkte ergeben sich aus eigenen Wahrnehmungen, Erzählungen des Kindes/Jugendlichen und fachlichen Schlussfolgerungen. Über den eigenen Aufgabenbereich hinausgehende Nachforschungen sind nicht notwendig, einfache Nachfragen hingegen schon.

  • Das Kinderschutzzentrum berät, ob eine Mitteilung gemacht werden muss: 0662-44911

Hilfreiche Verhaltensweisen dem betroffenen Kind gegenüber:

  • Bleiben Sie ruhig!
  • Glauben Sie dem Kind, wenn es sich Ihnen anvertraut! Kinder brauchen bis zu sieben Anläufe, bis eine erwachsene Person ihnen glaubt und hilft! Kinder erfinden so etwas nicht.
  • Bieten Sie Ihre Hilfe an: „Ich merke, es geht dir nicht gut - du kannst mir alles erzählen.“
  • Bohren Sie nicht nach: Sie sind kein*e Detektiv*in und kein*e Polizist*in.
  • Lassen Sie sich nicht darauf ein, ein Geheimnis zu behalten -> Sie brauchen selbst Hilfe und können den Missbrauch nicht alleine auflösen! „Ich kann dir versprechen, dass ich nichts tu, ohne es dir vorher zu sagen.“
  • Rollenklarheit: stellen Sie keine Suggestivfragen, nur offene Fragen, und interpretieren Sie nicht.
  • Halten Sie den „Ohnmachtszwischenraum“ aus, wenn Sie einen Verdacht hegen: Sie sind nicht in der Rolle, das Kind im Fall einer familiären Missbrauchssituation umgehend und umfassend zu schützen. Ihre Aufgabe ist es, als Vertrauensperson die nächsten Schritte mit Hilfe externer Beratungsstellen zu setzen.

 

Missbrauchprävention:

Prävention ist kein Projekt, sondern sollte eine pädagogische Grundhaltung sein.

 

Selbstwertstärkung

 

Biologische Aufklärung: Wenn Kinder Namen für alle Körperteile haben und wissen, wo Sexualität „hingehört“ (zu Erwachsenen bzw. älteren Jugendlichen), kann man ihnen nicht so leicht einreden, dass  „alle Nichten das mit ihrem Onkel machen.“ Aufklärung = Kinderschutz! Wissen schützt vor Manipulation und befriedigt die kindliche Neugierde auf ein spannendes Thema.

 

Stärkende Botschaften:

  • Mein Körper gehört mir (Kindern viel Mitspracherecht geben, wenn es um den Körper geht)
  • Ich darf nein sagen (nicht jedes Nein kann „durchgehen“, es sollte aber gehört werden)
  • Meine Gefühle sind richtig und wichtig: Kinder in den Gefühlen ernst nehmen, sie ihnen nicht absprechen („Brauchst nicht traurig/zornig sein“), ihnen helfen, mit „schwierigen“ Gefühlen umzugehen.
  • Ich entscheide, welche Berührung ich mag: das darf sich auch immer wieder ändern.
  • Ein schlechtes Geheimnis darf ich jemandem erzählen: vermitteln Sie den Kindern, dass sie Ihnen auch Schlimmes anvertrauen können.
  • Ich darf mir immer Hilfe holen: spielen Sie schwierige Situationen gedanklich durch: wo kann man sich Hilfe holen? Was tun Sie, wenn Sie einen schweren Tag hatten? Seien Sie Vorbild.
  • Ich bin nicht schuld, wenn jemand etwas Schlimmes mit mir macht: die Verantwortung liegt immer beim Erwachsenen, auch bei häuslicher Gewalt.

 

Unterrichtsmaterial:

Sexuelle Gewalt. Leitfaden für Pädagoginnen und Pädagogen – Rechtliche Situation. Inklusive Beobachtungsblatt: http://www.schulpsychologie.at/fileadmin/upload/psychologische_gesundheitsfoerderung/Gewaltpraevention/sexuelle_gewalt_BF.pdf 

Handlung, Spiel und Räume: Leitfaden für Pädagoginnen und Pädagogen zum präventiven Handeln gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen: Download: https://selbstlaut.org/wp-content/uploads/2016/11/SL_handlung_spiel_raeume_2014.pdf  

Sexueller Kindesmissbrauch. Erkennen, verstehen, vorbeugen: KIJA:
Download
: https://www.kija-ooe.at/Mediendateien/Sexueller-Kindesmissbrauch_aktuell.pdf  

Sexualaufklärung:   
Ganz schön intim. Sexualerziehung für 6- bis 12jährige:
Download: https://selbstlaut.org/wp-content/uploads/Selbstlaut_Broschuere_Ganz_schoen_intim_korr201908.pdf  

Links für Jugendliche -  und Erwachsene!

https://www.jugendportal.at/themen/liebe-sexualitat

https://www.feel-ok.at/de_AT/jugendliche/themen/gewalt/gewalt.cfm

https://www.feel-ok.at/de_AT/jugendliche/themen/liebe_sexualitaet/liebe_sexualitaet.cfm

Rat auf Draht: https://www.rataufdraht.at 

Prävention & sexuelle Bildung: www.selbstbewusst.at